Archiv des Autors: Bettina Dornberg

Ostern besonnen

Ostern. Auferstehung Jesu. Als getaufte Christin überlege ich, was heute für mich auferstanden sein könnte. Auch die Bedeutung des jüdischen Pessachfests – die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei nach dem 2. Buch Mose und damit die Verbindung einer jeden Generation mit der Befreiungserfahrung – ist dazu angetan, mir Gedanken darüber zu machen, was mich befreien könnte. Und was ist aufgetaucht? Besonnen – als Wort. Auf einmal lag es auf den Lippen, sprudelte aus dem Herzen, in der Waagschale meines Gedankenblitzes begleitet von unerschütterlichem Erstaunen. 
Was für ein wunderschönes Wort! Nicht nur Wärme und Licht, Gelassenheit und Ruhe, Muße und Zugewandtheit birgt es für mich – ich lerne über google durchaus freudig von klugen Männern dazu: Für Sokrates bedeutet Besonnenheit, das Seine zu tun und damit das Gute zu tun – und weiter sei damit eigentlich die ‚Gesundheit des Zwerchfells‘ gemeint, in dem der Sitz der Seele vermutet wurde. Für Platon zählt sie neben der Gerechtigkeit, der Tapferkeit und der Klugheit zu den vier Kardinaltugenden; für Konfuzius ist sie eine der zentralen Ideale; für Epikur die Voraussetzung für Seelenfrieden. Und für Johann Gottfried Herder ist Besonnenheit „ein menschlicher Zustand, der gleichbedeutend mit Reflexion ist und daher zum ersten Mal frei wirkend die Sprache erfunden habe“. Genau, das ist es. Heute frei gefunden in meiner Sprachwelt und in der Tat wirkend – und dabei ein wenig auferstehend und befreiend. 

schwer, aber pur

Manches Mal mag ich meine düsteren Stunden. Ja. Da fühl ich mich weder defizitär, noch nicht okay und fordere von mir auch nicht, dass es anders sein müsste. In diesen Stunden wird niemand verantwortlich gemacht für irgendetwas. Weder das Wetter noch die widrigen Umstände, weder jemand Anders noch ich selbst. Wenn dem so ist, dann spüre ich mich authentisch, lebendig, ohne Maske, pur, durchaus schwer, aber präsent. Manchmal meldet sich auch die kleine Bettina und möchte getröstet oder einfach nur gehalten werden. Das ist völlig in Ordnung. Natürlich genieße ich mehr die Momente mit der Kleinen unterwegs zu sein – in Irland als Schafhirtin und eins zu sein mit der Natur, mit Geburt und Sterben, mit Hund und dem Hüten, mit Wiese, Blumen und Berg. Aber es gibt eben auch diese anderen Gezeiten – und wenn es mir gelingt, mich und die Kleine in diesen Stunden einfach nur sein zu lassen, als wahr zu nehmen, dann sind sie manches Mal eben sogar fruchtbar und letztlich nicht hell, aber erhellend. Versprochen. 

Hausarrest

Mit der Kontaktsperre tauchte urplötzlich eine Erinnerung auf, die mir seit mehreren Jahrzehnten – ja, so alt bin ich schon – in den Sinn kam: Hausarrest. Mit Hausarrest hatten meine Eltern in meiner Kindheit und Jugend eine der treffendsten Strafen gesucht, gefunden und immer wieder auch verhängt. Für was? Daran kann ich mich wiederum nicht erinnern. Klar war nur: Kein Klettern auf Bäume, kein Versteckspielen in unserem „Geheim“, kein Rennen, Atmen, Sein; keinen Kontakt zu meinen Freundinnen und Freunden. Nur pflichtbewusst zum Musikunterricht und umgehend wieder nach Hause – das sollte sein. Dies traf mich bis ins Mark – das ist ein Klischee. Ja, die Strafe war wirklich wirkungsvoll. Denn Hausarrest war gleichbedeutend, dem Dunklen, dem Schweren daheim nachmittags nicht fliehen zu können. Vermutlich liebte ich auch deswegen die Schule, aber das ist ein anderes Thema. 
Und die äußere Bewegungseinschränkung und das Kontaktverbot zum rettenden Draußen verschmolzen zu einer Starre rundum– angefüllt mit Worten, die ich nicht verstand und die mir Angst machten. Das ist lange her. Ja, und trotzdem wurde es lebendig, als ich die Tage trotz wunderschönstem Wetter nicht raus bin, aus meiner Wohnung. Habe mir ganz offensichtlich selbst Hausarrest auferlegt – und die Frage, für was ich mich da etwa bestraft haben könnte, will mir auch heute partout nicht einfallen. 

unbändig und unvernünftig

Heute übt alles Verbotene eine unbeschreibliche Anziehungskraft auf mich aus. Hier und jetzt umgehend einen Flug nach Neapel buchen und nach Procida rüberschiffen. Was sag ich! Hier und jetzt den Rucksack packen, los zum Flughafen und den nächsten Flieger einfach nehmen. Mich ins Auto setzen und ins Tal bei Hinterstein fahren. Grenzen-los wandern. Oder nach Südtirol? Gipfel besteigen. Oder ans Meer – in Holland. Eine Rundreise antreten und meinen Freundinnen und Freunden spontan und am besten allen gleichzeitig einen Besuch abstatten. In Freiburg. Berlin. Frankfurt. Hamburg. Südfrankreich. Leipzig. Zürich. Oder auch schlicht schon in Düsseldorf und Umgebung. Diese unbändige Lust etwas Unvernünftiges zu tun… Warum ist sie heute größer als in sichereren Zeiten? 

mit Kunst gerettet

Nein, mein Keller ist nicht entrümpelt; nein, immer noch kein Papier sortiert, aussortiert und weggeworfen; Kleider und Schuhe ebenso nicht ausgemustert. Weder weiter an der Steuer gearbeitet – noch meine Website aktualisiert. Das tägliche Training erst heute begonnen; auch das Lesezeichen im Buch wandert nur sehr gemächlich von Seite zu Seite. 
Es reicht: keine täglichen Nachrichten mehr! Weder die der Selbstoptimierung noch die der Krisenhelfer, die alle eigentlich nichts anderes tun, als ihre Angebote schon lange nicht mehr zu personalisieren, sondern einzig und alleine zu skalieren. Ich stehe euch nicht mehr zur Verfügung! 
Auch mit Telefonaten bin ich zögerlich; bin müde über Corona zu reden; vollends zu schweigen fällt mir auch nicht leicht. Aber sprechen über das, was ist, gelingt nur sequenziell; manches Mal sogar nur mehrere Sekunden lang. Ich habe sie nicht gezählt. Kontakt an der Oberfläche – gleichzeitig brennt es in mir – lichterloh. Habe es ein wenig löschen können mit einer Frage an eine Freundin über ihre Kunst. Als ich diese Frage stellte, wusste ich noch nicht, dass sie schlichtende Kraft besitzt. Ich bekam eine Antwort und Bilder. In eines habe ich mich umgehend verliebt – wunderbar.

der Glaube an die Liebe

Eine Freundin hat mir ein Geschenk gemacht. Oder anders: Ich habe es zutiefst als Geschenk empfunden. Sie schickte mir ein Büchlein von ihr selbst mit folgender Widmung: „Für XXX – die Xe stehen stellvertretend für den Namen ihres Partners – und für die Freundinnen und Freunde, die an die Liebe glauben“. Sie hat es geschafft, mich an meine Triebfeder von allem zu erinnern. Die Liebe. Der Glaube an die Liebe. In allen Zeiten. Zu jeder Zeit. So war ist, so ist es, so wird es sein. Erinnerung als bewusste Wahrnehmung, als Weckruf. DANKE.

mich mir selbst

Was ist der Unterschied: für mich Tagebuch zu schreiben und hier zu schreiben?
Was bewegt mich, für eine Öffentlichkeit zu schreiben. Oder auch: in aller Öffentlichkeit zu schreiben? 
Offensichtlich muss ich ja annehmen, es könnte jemand interessieren. Weder langweilen noch quälen. Aber halt: Das ist der falsche Ansatz.
Vielmehr geht es vermutlich darum, mich zu stellen. Im Kleinen. Häppchenweise Themen, Gefühle, Gedanken und Ideen aufzuschreiben, mich zu fokussieren… ja nochmals: mich zu stellen. Vielleicht ist ja auch so: Ich stelle mich mir selbst zur Verfügung. Gefällt mir. Was es genau bedeutet, weiß ich noch nicht, aber die Formulierung gefällt mir ausgesprochen gut. Basta.

Gespräch unter Nachtvögeln

Gespräch unter Nachtvögeln

Reist du zu mir,
Engel der bildreichen Träume zur Nacht?

Auf dass der Flügelschlag im Winde schwingt
Warum klingen deine Worte auf Papier?

Neu flackern längst verloschene Sterne auf
Ach, welch Feuer sie imstande zu entfachen
Cherubim im Kreis sich dreht und lacht
Haniel desgleichen spielt und späht
Thronend auf dem Berg der Sinnenpracht
Sanft wie schneidend scharf und bitter noch

Reist du zu mir,
Engel der bildreichen Träume zur Nacht?

Auf dass der Flügelschlag im Winde singt
Warm klingen deine Worte auf Papier.

Nur noch eines, zweitens und noch mehr
Ach, was sehnt’ ich Sternschnuppen zu locken
Capriolen schlagend um das Herzeleid
Hals über Kopf und tief – bis unter Haut und Haar
Trotzt allem Schaffens und der Tageswidrigkeit
Sachte lösen sich Gefechte in Geflechte auf

Reimst du für mich,
Engel der sprachreichen Stille zur Nacht?

Auf dass sich Flügelschläge über Horizonten weiden
Wie zauberhaft der Worte Klang auf beiden Seelen ruht.

24.1.2010 © Bettina Dornberg